Mittwoch, 28. Mai 2008

Mit Viren gegen Hirntumore

20.03.2008

Nach Angaben des amerikanischen National Cancer Institute werden allein in diesem Jahr mehr als 21.000 US-Bürger mit einer Krebserkrankung im Hirnbereich diagnostiziert. Während harmlose Formen dieser Krankheit recht einfach zu behandeln sind, lassen sich bösartige Tumore nur mit einer komplexen Kombination aus chirurgischen Eingriffen, Chemotherapie und Bestrahlung behandeln. Und selbst dann ist oft nicht sicher, ob Tumorzellen nicht in tieferen Bereichen des Gehirns festsitzen, sich schließlich vermehren und gesundes Gewebe erneut befallen.

Forscher an der Yale University haben nun ein Virus entdeckt, das aus der gleichen Familie wie der Tollwuterreger stammt und aggressive menschliche Hirnturme im Tierversuch abtöten kann. Mit Hilfe eines auf Lasertechnik basierenden bildgebenden Verfahrens konnte das Wissenschaftlerteam beobachten, wie sich das so genannte Vesicular-Stomatitis-Virus (VSV) erstaunlich schnell auf Tumorherde stürzte und Krebszellen auf dem Weg selektiv abtötete, das gesunde Gewebe aber intakt ließ. Anthony Van den Pol, Leiter der Studie und Professor für Neurochirurgie und Neurobiologie an der Hochschule betont außerdem, dass das VSV sich selbst weiter vermehren kann, um schließlich eine zweite Abwehrlinie zu bilden, sollte der Tumor wieder auftauchen.

»Kommt es zu Metastasen, wird ein Tumor recht mobil. Das Messer des Chirurgen kann dann nicht alle Zellen herausholen«, sagt der Forscher. Einem Virus könne das unter Umständen gelingen, weil es nicht nur Tumorzellen abtöten, sondern sich auch selbst replizieren könne: »So erhält man eine Therapieform, die sich bei Bedarf selbst verstärken kann.«
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In den vergangenen Jahren versuchten Forscher schon mehrfach, aus Viren potenzielle Wirkstoffe im Kampf gegen Krebs zu gewinnen. Forscher an der Mayo Clinic arbeiteten beispielsweise mit Masern-Viren, um eine Form von Knochenmarkkrebs anzugehen. Auch bei der Behandlung von Hirntumoren wurde bereits mit dem direkten Einspritzen von Herpes- und Polio-nahen Viren im Kopfbereich von Mäusen experimentiert. Van den Pol waren diese Werkzeuge jedoch allesamt nicht wirksam genug.

Die Suche nach einem interessanten Virenkandidaten begann in seinem Labor deshalb bereits vor sechs Jahren – anfangs in Zellkulturen wurde deren Anti-Krebs-Wirksamkeit getestet. VSV habe sich dabei »stets ganz vorne« platziert, sagt der Forscher. Deshalb züchtete er zahlreiche Generationen und isolierte dann Stämme, die Tumorzellen besonders schnell befielen, aber nur einen geringen Effekt auf gesunde Zellen hatten. Der bislang wirksamste VSV-Stamm wurde dann endlich an lebenden Mäusen getestet.

In dem Experiment wurde zunächst ein Glioblastom, die häufigste und aggressivste Form von Hirntumoren beim Menschen, in das Gehirn der Mäuse verpflanzt. Vor der Transplantation wurden die Tumorzellen genetisch so verändert, dass sie einen roten Markierungsstoff abgaben, der sich in der Laser-Mikroskopie des Mäusegehirns zeigen würde. Die VSV-Zellen erhielten dagegen einen grünen Markierungsstoff. Das Virus wurde dann intravenös durch den Schwanz der Tiere gegeben. Nach wenigen Tagen beobachteten die Forscher bereits, wie das grüne Virus seinen Weg ins Gehirn fand und die roten Tumormassen und einzelnen Tumorzellen selektiv infiltrierte. Normale Zellen wurden hingegen links liegen gelassen. »Wenn das Virus die Tumorzellen infiziert, werden sie zunächst grün, schwellen dann an und zerbersten schließlich«, berichtet van den Pol. Das erinnere an einem Ballon. »Wenn man den immer weiter aufbläst, platzt er schließlich. Es bleibt zwar etwas übrig, aber das ist kein Ballon mehr. In unserem Fall existieren zum Schluss nur noch tote Zellen, die sich nicht mehr teilen können.«

Es ist bislang unklar, warum ausgerechnet VSV einen derart wirksamen Tumor-Killer darstellt. Van den Pol hat mehrere Theorien: Eine mögliche Erklärung betrifft das schwache Gefäßsystem des Tumors. Äderchen, die den Tumor mit Blut versorgen, sind normalerweise relativ löchrig, so dass ein Virus, das durch die Blutbahn wandert, die ansonsten nicht durchdringbaren Barrieren überschreiten und dann direkt im Tumor ankommen kann.

Ein weiterer Grund könnte sein, dass die Krebszellen Einschränkungen in ihrem Immunsystem aufweisen, die VSV gezielt angreifen lässt. Erkennen normale Zellen ein Virus, wird normalerweise sofort eine Immunantwort provoziert – das Interferon-Protein entsteht und verhindert, das die Virusinfektion gesunder Zellen weitergeht. Tumore besitzen eine solch starke Virenabwehr nicht, was sie zu idealen Zielen von VSV & Co. macht.

Vor ersten klinischen Studien am Menschen müssen allerdings noch zahlreiche Details der Technik geklärt werden. So wurden die Mäuse bei den Tests nur einige Tage lang beobachtet und dann getötet, um sie zu sezieren. Es ist unklar, wie sich das Virus auf längere Sicht im Gehirn verhält.

Hinzu kommt, dass die Versuchstiere selbst speziell veränderte Mäuse mit geschwächter Immunantwort waren. Die Nager konnten zwar noch Interferon produzieren, um eine örtliche Zellabwehr sicherzustellen, doch produziert ihr Immunsystem keine B- und T-Zellen mehr, die sonst Viren zerstören wurden. Nur so ließ sich laut Van den Pol der menschliche Tumor überhaupt ins Mäusehirn transplantieren, ohne abgestoßen zu werden. In einer echten Therapie müssen die Forscher deshalb sicherstellen, dass die normale Immunantwort nicht dafür sorgt, dass VSV ausgeschaltet wird, bevor es den Tumor erreicht.

»Normalerweise haben wir es in solchen Tests mit einem hübschen Tiermodell zu tun, bei dem sich das Virus über das Tumorgewebe ausbreitet«, meint Samuel Rabkin, Virologe in der Abteilung Neurochirurgie des Massachusetts General Hospital. »In realistischeren Versuchsanordnungen kommt es hingegen womöglich zu einer Immunantwort, die die Wirksamkeit des Virus deutlich einschränkt.«

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