Donnerstag, 1. Mai 2008

Chemotherapie: Eine Giftkur ohne Nutzen

04.10.2004,
Giftkur ohne Nutzen

Immer ausgefeiltere und teurere Zellgifte werden schwer kranken Patienten mit Darm-, Brust-, Lungen- oder Prostatatumoren verabreicht. Nun hat ein Epidemiologe die Überlebensraten analysiert. Sein Befund: Allen angeblichen Fortschritten zum Trotz leben die Kranken keinen Tag länger.

... »Was das Überleben bei metastasierten Karzinomen in Darm, Brust, Lunge und Prostata angeht, hat es in den vergangenen 25 Jahren keinen Fortschritt gegeben«, sagt der Epidemiologe Dieter Hölzel, 62. Er hat zusammen mit Onkologen die Krankengeschichten Tausender Krebspatienten dokumentiert, die in und rund um München seit 1978 nach dem jeweiligen Stand der Medizin behandelt wurden. Die Menschen litten im fortgeschrittenen Stadium an einem der vier Organkrebse. Mit jährlich etwa 100 000 Todesopfern allein in Deutschland sind diese Tumorarten die großen Killer.

Gerade für Menschen mit Metastasen gilt die Chemotherapie als Behandlung der letzten Wahl, wenn sich die verstreuten Tochtergeschwulste mit Strahlen und Skalpellen nicht mehr erreichen lassen. Seit Jahrzehnten werden immer neue Zellgifte eingesetzt. Oftmals verlangen die Arzneimittelhersteller dafür astronomisch hohe Preise. Im Austausch versprechen sie ein längeres Leben.

»Chance für Lebenszeit!« heißt es etwa auf einem drei Meter großen Werbeplakat für das Krebsmittel »Taxotere«. Der Hersteller eines Konkurrenzpräparats wirbt unter dem Motto: »Taxol - dem Leben eine Zukunft geben«. Und auch Erika Meyers Arzt in Recklinghausen gibt sich zuversichtlich: Die Chemotherapie habe sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert, sagt der niedergelassene Onkologe Friedrich Overkamp, 47. Es ließen sich »beträchtliche Lebensverlängerungen« erreichen.

Die neuen Zahlen des Krebsregisters der Universität München indes bestätigen das

nicht. Die Überlebensraten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten demnach mitnichten verbessert (siehe Grafik): Heutige Patienten versterben genauso schnell an Krebs wie ihre Leidensgenossen vor 25 Jahren.

... Zehn Jahre später war es dann der Epidemiologe Ulrich Abel von der Universität Heidelberg, der den Nutzen der Chemotherapie in Zweifel zog. Ein Jahr lang hatte der Wissenschaftler mehrere tausend Publikationen zur Chemotherapie gesichtet. Erschüttert stellte er fest, dass »bei den meisten Organkrebsen keinerlei Belege dafür existieren, dass die Chemotherapie - speziell auch die immer mehr um sich greifende Hochdosistherapie - die Lebenserwartung verlängert oder die Lebensqualität verbessert«.

Namhafte Onkologen stimmten dem Verdikt zu - die Ausbreitung der Chemotherapie konnte das nicht stoppen. Wohl nicht zuletzt, weil die Ärzte ihren Patienten nicht eingestehen wollen, dass sie dem Krebs gänzlich wehrlos gegenüberstehen, ist die Giftkur zu einem Dogma der Medizin geworden.

... Jedes Quartal verschreibt Overkamp seinen 1100 Krebspatienten Medikamente im Wert von etwa 1,5 Millionen Euro. Bundesweit summierte sich der Umsatz der Zytostatika zwischen August 2003 und Juli 2004 auf 1,8 Milliarden Euro - ein Plus von 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Antikörper, die Krebszellen gezielt erkennen können, sind die neuesten Preistreiber. Und wieder sehen die Hersteller einen Durchbruch - doch eindeutige Belege, ob das Leben unheilbar kranker Krebspatienten verlängert werden kann, fehlen auch hier.

Link zum Spiegel-Artikel

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